Mein gestriges Telefoninterview mit einem Berliner Radiosender, zum Thema Verzicht, hat mich nachdenklich gestimmt.
Die Frage, worauf wir verzichten oder wie es uns mit dem Verzicht geht, kam während unseres Experiments ja unzählige Male.
Ich konnte mit der Frage oft nicht allzu viel anfangen, weil sie meist implizit voraussetzte, dass uns irgendetwas abgeht oder fehlt. Oft war wohl eher Entbehrung als Verzicht gemeint.
Schränkt Verzicht unsere Freiheit ein?
Was bedeutet eigentlich Verzicht in einer Welt voller Überfluss? Unsere Art des Verzichts hat für mich eigentlich hauptsächlich mit der Identifizierung des Überflüssigen zu tun.
Diese Art des Verzichts ist eigentlich nur aus einer Luxusposition heraus möglich. Wir haben alles, was wir brauchen und mehr und eigentlich haben wir auch ganz viel, was wir gar nicht oder jedenfalls nicht in diesem Ausmaß brauchen.
Die Fastenzeit scheint für viele Menschen – auch unabhängig von religiösen Motiven – ein willkommener Anlass zu sein, dem Überfluss zumindest kurzfristig Einhalt zu gebieten.
Kein Kaffee, keine Süßigkeiten, keine Zigaretten, kein Alkohol, kein Fleisch, keine neuen Kleidungsstücke und noch viele andere Formen das individuellen, freiwilligen Verzichts sind mir in den letzten Wochen untergekommen. Ja, wir alle oder zumindest die überwiegende Mehrheit der Menschen hier in Österreich – können uns den Luxus des Verzichts leisten. Es gibt in unserem Alltag unzählige Güter und Gewohnheiten, die nicht existenziell wichtig für unser Überleben, ja nicht einmal für unser Wohlbefinden sind.
Was ist aber dann mit dem in den letzten 2einhalb Jahren oft gehörten Argument, man könne sich „plastikfreien“ Einkauf nicht leisten. Sind das wirklich alles nur Ausreden? Ich war manchmal geneigt, das so zu sehen. Allerdings muss, ich dazu sagen, dass die meisten Menschen, mit denen ich überhaupt in Diskussion kam, nicht den Eindruck machten, weniger Wahlmöglichkeiten zu haben, als wir.
Aber was ist mit den Diskussionen, die ich nicht geführt habe?
Vielleicht deshalb nicht, weil zum Beispiel ein allein erziehender Elternteil mit zwei oder drei Kindern, der sich tatsächlich entscheiden muss, ob man sich einen gemeinsamen Kinobesuch leistet oder lieber Biolebensmittel für diese Woche einkaufen möchte, nicht auch noch Zeit hat, zu einer Diskussionsveranstaltung zu gehen und sich mit der Verpackung des Einkaufs auseinander zu setzen.
Oder ein alter, gehbehinderter Mensch mit Mindestpension, der sich einfach nur mehr über die plastikverpackten Billigangebote beim nächstgelegenen Supermarkt einigermaßen selbst versorgen kann, kein Interesse mehr daran hat, welche Schadstoffe sich möglicherweise beim Aufwärmen in der Mikrowelle aus der Plastikverpackung seiner Fertiggerichte lösen könnten.
Ist unser Verzicht aus dem Luxus heraus so gesehen gar überheblich?
Mit diesem Vorwurf wurde ich seit Beginn unseres Experiments immer wieder mal konfrontiert, was mir natürlich zu denken gegeben hat. Doch ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass schlechtes Gewissen auch in diesem Fall so gut wie nichts bringt.
Im Gegenteil: So lange ich zu denen gehöre, die aus dem Vollen schöpfen können, empfinde ich nun mal die Verpflichtung, so verantwortungsvoll wie möglich damit umzugehen. Diejenigen, die diese Möglichkeiten nicht haben oder gar völlig außerhalb der Überflussgesellschaft stehen, orientieren sich ja trotzdem an den immer höher geschraubten Ansprüchen unseres Systems. Wenn wir, die wir uns den „Luxus des Verzichts“ leisten können, nicht damit anfangen, wer soll es dann tun?
Ich jedenfalls sehe meine Sozialisation in der Wegwerfgesellschaft und mein Leben im Überfluss zunehmend als Auftrag.
Ja, ich kann es mir leisten, weniger zu verbrauchen, weniger Müll zu produzieren, weniger Auto zu fahren, keine Flugreisen zu machen, ich kann es mir leisten, Diskussionen zu führen, mich politisch zu engagieren, mich in vielen Fällen, dem Mainstream entgegen zu stellen.
Die Vorstellung, dass es sehr viele Menschen gibt, die sich das auch leisten können, stimmt mich in gewisser Weise hoffnungsvoll (obwohl ich zugeben muss, dass ich manchen von ihnen hin und wieder auch gerne einen Tritt in das bequem sitzende Hinterteil verpassen würde:-)).
Wir könnten alle gemeinsam Vorbilder werden für einen neuen, zukunftstauglichen und nicht zuletzt auch sozial verträglicheren Lebensstil. Es macht Sinn, wenn wir in unserem eigenen Umfeld beginnen, das Überflüssige zu reduzieren, es macht Sinn, am Bild eines alternativen und modernen Lebensstils mit zu arbeiten. So gesehen muss freiwilliger Verzicht nicht überheblich sein, sondern kann uns helfen, Sichtweisen zu verändern und unsere Wahlmöglichkeiten zu erweitern.